Was bedeutet Ermessen?

Von Anton Butz aus Bad Buchau haben wir ein paar interessante Überlegungen erhalten, ob und wie Kommunen ihren Ermessensspielraum bei der Einsichtnahme von öffentlichen Niederschriften auslegen können.

Niederschriften – Überlegungen zu § 38 Abs. 2 GemO

Auf Einsichtnahme in die Niederschriften über öffentliche Sitzungen besteht ein Rechtsanspruch. Gegen Kopienund Übersendung, auch von Dateien, gibt es keinen rechtlichen Hinderungsgrund; nach herrschender Auffas-sung steht die Entscheidung darüber im Ermessen der Behörde. Nur „Mehrfertigungen von Niederschriftenüber nichtöffentliche Sitzungen dürfen nicht ausgehändigt werden“, § 38 Abs. 2, zweiter Halbsatz GemO.

Anders als „guter Wille“ ist Ermessen nicht frei, sondern pflichtgemäß auszuüben. § 40 LVwVfG bestimmt dazu:„Ist die Behörde ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweckder Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten.“

Zudem ist § 39 Abs. 1 LVwVfG relevant, wonach der Verwaltungsakt (auch die schriftliche oder elektronischeBestätigung) mit einer Begründung zu versehen ist. „In der Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen undrechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Die Begründung vonErmessensentscheidungen soll auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Aus-übung ihres Ermessens ausgegangen ist.“

Nicht oder fehlerhaft ausgeübtes Ermessen macht den Verwaltungsakt nicht nichtig, aber rechtswidrig. In die-sen Fällen ist nicht offensichtlich, dass die Verletzung der Form- / Verfahrensvorschriften die Entscheidung inder Sache nicht beeinflusst hat, denn ein Fall der sog. Ermessensreduzierung auf Null liegt eindeutig nicht vor.Damit ist der Anspruch auf Aufhebung des (ablehnenden) Verwaltungsaktes von § 46 LVwVfG nicht ausgeschlos-sen, im Umkehrschluss also gegeben (vgl. z. B. VG Karlsruhe, Urteil vom 9. Mai 2023, Az: 8 K 2816/21, Rn. 96,mit Fundstellenangaben). Derartige Überlegungen drängen sich insbesondere auch bei Verletzung des Anhö-rungsrechtes nach § 28 LVwVfG auf.

Einen für die Ermessensausübung wesentlichen Verfahrensgrundsatz enthält § 10 LVwVfG über die Nichtförm-lichkeit des Verwaltungsverfahrens. Dieses ist einfach, zweckmäßig und zügig durchzuführen. Dazu gehört ineiner halbwegs modernen und bürgernahen Verwaltung nicht nur, die Daten laufen zu lassen, statt die Bürger,diese in ihren Rechten zu unterstützen statt zu behindern, den schikanösen Touch behördlicher Gängelei bereitsim Ansatz zu vermeiden und durch Aushändigung / Übersendung von Kopien / Dateien dem Zweck des Ermessensspielraums zum Einsichtsrecht in Sitzungsniederschriften zu entsprechen, sondern auch, damit den Verwaltungsaufwand zu reduzieren, Bürokratie abzubauen, personelle und finanzielle Ressourcen zu schonen.

In diesem Zusammenhang bietet sich auch ein (Rück-)Blick auf § 7 Abs. 5 und 6 LIFG an: „Die informationspflichtige Stelle kann Auskunft erteilen, Akteneinsicht gewähren oder Informationen in sonstiger Weise zur Verfü-gung stellen. Begehrt die antragstellende Person eine bestimmte Art des Informationszugangs, so darf diesernur aus wichtigem Grund auf andere Art gewährt werden. Als wichtiger Grund gilt insbesondere ein deutlichhöherer Verwaltungsaufwand. …“ Und: „Im Fall der Einsichtnahme in amtliche Informationen kann sich die antragstellende Person Notizen machen oder Ablichtungen und Ausdrucke fertigen lassen, …“

Auch Blicke in Gegenwart und Zukunft sind hilfreich und zeigen, dass die Digitalisierung in allen Verfahrensord-nungen weiter gefördert und es für Bürger und Verwaltung dadurch leichter werden soll. Dazu wird beispielhaftauf die aktuelle Entwicklung (Verbändeabfrage zum Bürokratieabbau, Sonderbericht der Bundesregierung, Ge-setzes-Entwurf zur weiteren Digitalisierung der Justiz … ) verwiesen.

Wenn der – teilweise praktizierte – freie Zugang der amtlichen Niederschriften über öffentliche Sitzungen desGemeinderates auf der Homepage nicht zielführend ist, drängt sich die Erfüllung des Einsichtsrechts per E-Mail-Übersendung geradezu auf. Durch eine dem Zweck der Ermächtigung entsprechende Ermessensausübung las-sen sich egoistisch geschützte verkrustete Verwaltungsstrukturen im Interesse der Bürger spontan aufbrechen.

Danach dürften Ablehnungen künftig nur noch selten, in begründeten Ausnahmefällen, in Betracht kommen.

Reaktionen

Dieser Beitrag hat 5 Kommentare

  1. Anton Butz

    Baden-Württemberg zählt 1.101 Gemeinden. Der Gemeindetag BW teilte auf die Frage nach seiner rechtlichen Einschätzung zu den ihm übersandten „Überlegungen zu § 38 Abs. 2 GemO – Niederschriften“ mit der Bitte um Verständnis aktuell mit:

    „… dass wir als Gemeindetag aufgrund des hohen Anfrageaufkommens nur Anliegen unserer satzungsmäßigen Mitglieder bearbeiten können. Dies ermöglicht es uns, die Qualität unserer Dienstleistungen aufrechtzuerhalten und sicherzustellen, dass wir den Bedürfnissen unserer Mitglieder effektiv und effizient nachkommen können. …“

    Aus dem Staatministerium, Beteiligungsportal kam am 03.01.2024 der Text:

    „… ich bin kein Verwaltungsjurist. Aber ich kann mir vorstellen, dass „Ermessen“ mit der Umsetzung in dieser Sache nichts zu tun hat. Die Gemeinde muss Ihnen Einsicht gewähren. Zu mehr ist sie nicht verpflichtet und sie muss hier auch nichts „ermessen“. Dennoch kann sie entscheiden, die Einsicht auf eine andere Weise zu ermöglichen. …“

    Und das Regierungspräsidium Tübingen hat am 03.01.2024 geschrieben:

    „… sind wir der Auffassung, dass kein Anspruch auf die Zusendung von Kopien der Protokolle öffentlicher Gemeinderatssitzungen besteht. Nach § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO besteht (lediglich) ein Einsichtnahmerecht in den Räumen der Behörde. Es steht im Ermessen der Gemeinde, ob sie einem Einwohner eine Abschrift der Niederschrift oder diese als digitales Dokument (ggf. gegen Erstattung der Kosten) überlässt. Die Gemeinde entscheidet darüber in eigener Verantwortung. Inwieweit im konkreten Fall ein Ermessenfehlgebrauch vorliegt ist vom Regierungspräsidium nicht zu beurteilen.“

    Immerhin!

    Also nach zweimonatigen Bemühungen immer noch kein einziges Gegenargument, auch nicht von der Stadt Bad Buchau und vom Landratsamt Biberach. Vom Städtetag, Landkreistag, Landesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit sowie vom Innenministerium gibt noch keine Reaktion, Nachfragen gingen gestern raus.

  2. Anton Butz

    Inzwischen sieht es so aus, als würde sich die hier dargestellte Auffassung zum Ermessen langsam durchsetzen. Dass das Innenministerium nun den Datenschutz als Hürde bemüht, Zitat,

    „Eine Pflicht der Gemeinden zur Veröffentlichung der Niederschriften im Internet oder zu deren Versendung z. B. per E-Mail hätte einen erheblichen Verwaltungsaufwand zur Folge, da den datenschutzrechtlichen Vorgaben durch Löschen, Schwärzen o. ä. Rechnung getragen werden müsste. Auf freiwilliger Basis können die Gemeinden Niederschriften im Internet veröffentlichen oder auch per E-Mail versenden, müssen dabei jedoch die datenschutzrechtlichen Vorgaben beachten.“

    erscheint jedoch als mit der Demokratie und dem Rechtsstaat unvereinbare parteipolitische „Salamitaktik“.

    In der Konkurrenz von Datenschutz vs. Informationsfreiheit drängt sich zunächst die grundsätzliche aber bisher nicht beantwortete Frage auf, ob Niederschriften über öffentliche Sitzungen überhaupt schützenswerte Daten enthalten können? Darin kann jedenfalls nichts stehen, was nicht bereits öffentlich bekannt wäre. Im Übrigen werden Fragen des öffentlichen Wohls sowie berechtigter Interessen Einzelner vorab geklärt und Gegenstände bei denen die Voraussetzungen des § 35 GemO vorliegen in nichtöffentlicher Sitzung behandelt.

    Niederschriften über öffentliche Sitzungen dürften daher allenfalls ausnahmsweise, zu einzelnen Tagesordnungspunkten oder in kurzen Passagen, datenschutzrechtlich relevant sein. Der damit verbundene Aufwand ist kein Grund, Kopien / Ausdrucke / Dateien grundsätzlich zu verweigern bzw. von einer Ermessensreduzierung auf null auszugehen.

    Wegen landesweit verbreiteter unterschiedlicher Praktiken erscheint die nähere Klärung und entsprechende Umsetzung bei den 1.101 Städten und Gemeinden in Baden-Württemberg dringend erforderlich, wohl am besten durch ermessenslenkende Weisungen zum „pflichtgemäßen Ermessen“ mit Ausführungen zum dabei zu beachtenden „Datenschutz“.

    Vielleicht hilft die Demokratie-Diskussion im Vorfeld der Wahl am 09.06.2024 vollends – oder andernfalls die Petition.

  3. Anton Butz

    Für ein bisschen mehr Demokratie!

    Mit Blick auf die Gemeinderats- und Kreistagswahl am 09.06.2024 drängen sich an die Parteien, Wählervereinigungen und ihre Kandidaten die Fragen auf, wie sie die Geheimniskrämerei im Rathaus in Offenburg, Bad Buchau, … sowie im Landratsamt Biberach, … beurteilen. Ob sie dazu beitragen wollen, dass die Niederschriften über öffentliche Sitzungen ins Internet gestellt oder im Zusammenhang mit der Einsichtnahme auf Wunsch per Kopie, Ausdruck oder Datei überlassen werden.

    Immerhin regelt die Gemeindeordnung:

    Der GEMEINDERAT unterrichtet die Einwohner durch den Bürgermeister über die allgemein bedeutsamen Angelegenheiten der Gemeinde und sorgt für die Förderung des allgemeinen Interesses an der Verwaltung der Gemeinde.

    Der GEMEINDERAT ist die Vertretung der Bürger und das Hauptorgan der Gemeinde. Er legt die Grundsätze für die Verwaltung der Gemeinde fest und entscheidet über alle Angelegenheiten der Gemeinde, soweit nicht der Bürgermeister kraft Gesetzes zuständig ist oder ihm der Gemeinderat bestimmte Angelegenheiten überträgt. Der Gemeinderat überwacht die Ausführung seiner Beschlüsse und sorgt beim Auftreten von Missständen in der Gemeindeverwaltung für deren Beseitigung durch den Bürgermeister.

    Die Landkreisordnung ist vergleichbar:

    Der KREISTAG unterrichtet die Einwohner des Landkreises durch den Landrat über die allgemein bedeutsamen Angelegenheiten des Landkreises und sorgt für die Förderung des allgemeinen Interesses an der Verwaltung des Landkreises.

    Der KREISTAG ist die Vertretung der Einwohner und das Hauptorgan des Landkreises. Er legt die Grundsätze für die Verwaltung des Landkreises fest und entscheidet über alle Angelegenheiten des Landkreises, soweit nicht der Landrat kraft Gesetzes zuständig ist oder ihm der Kreistag bestimmte Angelegenheiten überträgt. Der Kreistag überwacht die Ausführung seiner Beschlüsse und sorgt beim Auftreten von Mißständen in der Verwaltung des Landkreises für deren Beseitigung.

    Wahlversprechen können das Wahlergebnis beeinflussen, Ablehnungen ebenso.

  4. Anton Butz

    Zum Atomausstieg gibt es von Cicero nun nähere Erkenntnisse. Zu den Niederschriften über öffentliche Gemeinderats- und Kreistagssitzungen noch nicht. Aber eine weitere Meinung:

    Es ist offen, ob der Bürgermeister autorisiert ist, die Übersendung / Aushändigung von Dateien, Kopien, Ausdrucken der Niederschriften über öffentliche Gemeinderatssitzungen ohne Begründung grundsätzlich abzulehnen.

    Die Entscheidung steht im pflichtgemäßen Ermessen der Gemeinde. Es handelt sich um eine grundsätzliche Angelegenheit der Verwaltung zu den Grenzen der Informationsfreiheit mit Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit – Gradmesser der Gemeinde-Demokratie. Dafür dürfte der Bürgermeister weder kraft Gesetzes noch nach der Hauptsatzung allein zuständig sein:

    Vertretung der Bürger und Hauptorgan der Gemeinde ist der Gemeinderat. Er legt die Grundsätze für die Verwaltung der Gemeinde fest, unterrichtet die Einwohner durch den Bürgermeister über die allgemein bedeutsamen Angelegenheiten der Gemeinde und sorgt für die Förderung des allgemeinen Interesses an der Verwaltung der Gemeinde sowie beim Auftreten von Missständen in der Gemeindeverwaltung für deren Beseitigung durch den Bürgermeister.

    Jeder Gemeinderat kann an den Bürgermeister schriftliche, elektronische oder mündliche Anfragen über einzelne Angelegenheiten der Gemeinde und ihrer Verwaltung richten, die binnen angemessener Frist zu beantworten sind. Auf Antrag einer Fraktion oder eines Sechstels der Gemeinderäte ist ein Verhandlungsgegenstand auf die Tagesordnung spätestens der übernächsten Sitzung des Gemeinderats zu setzen.

    Also liegt nahe, die amtierenden Gemeinderäte zu beteiligen, ebenso die Kandidaten für die Wahl am 09.06.2024.

    Da die Regelungen in der GemO und LKrO insoweit identisch sind, dürften die Überlegungen für Niederschriften über öffentliche Kreistagssitzungen entsprechend gelten.

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