Zwischen berechtigter Kritik und konservativer Moralisierung: Die Debatte um die Ausstellung „Why not?“ in Offenburg

Am Weltfrauentag geht es um Gewalt gegen Frauen, um soziale Ungleichheit, um strukturelle Benachteiligung. Die Kritik von Julia Roth-Hermann, dass dieser Tag in Offenburg zu wenig diesen drängenden Fragen gewidmet wird, ist vollkommen nachvollziehbar und berechtigt. Gleichzeitig stellt sich die Frage: Warum sorgt gerade eine Ausstellung über weibliche Sexualität für derart hitzige Debatten – und was sagt das über den gesellschaftlichen Umgang mit diesem Thema aus?

Die Ausstellung „Why not? 150+ Jahre Vibratoren, Sex & Tabus“ im Museum Ritterhaus thematisiert die Geschichte von Sexspielzeug und die lange gesellschaftliche Unterdrückung weiblicher Lust. Dass diese Ausstellung am Weltfrauentag eröffnet wird, empfinden viele als unpassend. Auch Julia Roth-Hermann kritisiert, dass dies den Blick von wichtigeren Themen ablenke: Gewalt gegen Frauen, Femizide, Vergewaltigungen, wirtschaftliche Abhängigkeit. Ihr Wunsch nach mehr Aufmerksamkeit für diese Fragen ist nachvollziehbar – denn diese Probleme sind real und dringend.

Doch ist es wirklich ein Widerspruch, am Weltfrauentag über weibliche Lust zu sprechen?

Ein Blick in die Geschichte zeigt: Die Kontrolle über weibliche Sexualität war schon immer auch ein Mittel, Frauen zu unterdrücken. Ob durch gesellschaftliche Tabus, medizinische Pathologisierung (die „Hysterie“ als vermeintliche Frauenkrankheit) oder religiöse Moralvorstellungen – die Lust der Frau wurde über Jahrhunderte hinweg als problematisch dargestellt. Die Ausstellung mag Geschmackssache sein, aber sie greift ein relevantes Thema auf: Wer bestimmt eigentlich, was Frauen über ihren Körper wissen dürfen und wie sie ihre Sexualität leben?

Ein falscher Skandal und eine fragwürdige Verknüpfung

Besonders problematisch an der aktuellen Debatte ist die bewusst inszenierte Empörung. Der tragische Mord an einer schwangeren Frau in der Nähe eines Erotikladens hat nichts mit dieser Ausstellung zu tun – und doch wird genau diese zufällige räumliche Nähe genutzt, um Stimmung gegen die Ausstellung zu machen. Diese Instrumentalisierung ist nicht nur sachlich falsch, sondern rückt das Thema in eine reißerische, anrüchige Ecke, die der eigentlichen Debatte nicht gerecht wird.

Progressiver Feminismus bedeutet, Frauen ihre Entscheidung zu lassen

Es gibt sicher gute Gründe, die Ausstellung kritisch zu hinterfragen: Wie wird das Thema präsentiert? Welche Perspektiven fehlen? Doch eine generelle Abwehrhaltung gegen das Thema weibliche Sexualität ist nicht nur konservativ, sondern auch ein Rückschritt. Feminismus bedeutet, dass Frauen selbst über ihre Körper und ihre Lust bestimmen – ohne Scham, ohne gesellschaftliche Bevormundung.

Julia Roth-Hermann setzt sich mit großem Engagement für soziale Gerechtigkeit und gegen Gewalt an Frauen ein – und dafür verdient sie Respekt. Doch genau dieser Kampf für Selbstbestimmung sollte auch beinhalten, dass Frauen selbst entscheiden dürfen, ob sie sich mit ihrer Sexualität offen auseinandersetzen wollen oder nicht. Denn auch das ist ein zentraler Teil weiblicher Emanzipation.

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