Offenburg als Freiheitsstadt? – Ein Blick auf das historische Selbstverständnis der Stadt

Von Hans-Joachim Fliedner, ehemaligem Kulturbeauftragten Offenburgs, stammt ein bemerkenswerter Text zur jüngeren Stadtgeschichte, der kritische Fragen zur Erinnerungskultur stellt. Im Mittelpunkt steht dabei die Art und Weise, wie sich Offenburg seiner Vergangenheit erinnert – oder eben auch nicht.

Fliedner hebt hervor, dass Offenburg eine herausragende Tradition als Freiheitsstadt hat. Die Ereignisse der Revolution von 1847–1849 sind nicht nur für Baden, sondern für ganz Deutschland von Bedeutung. Doch genau diese Tradition wurde lange verdrängt oder zugunsten unpolitischer Mythen und oberflächlicher Identitätsstiftung vernachlässigt.

Die verpasste Chance der Stadt Offenburg

Ein besonders prägnantes Beispiel für diese problematische Erinnerungspolitik war die Tour de France im Jahr 2005. Jede Stadt an der Strecke durfte ein charakteristisches Merkmal benennen, das ihre Identität unterstreicht. Während Renchen sich als „Grimmelshausenstadt“ präsentierte, meldete Offenburg sich – wenig ruhmreich – als „Stadt des Sambafestivals“ an. Das Bild, das damit vermittelt wurde, war das einer Stadt ohne historisches Bewusstsein, die lieber auf Eventkultur setzt als auf ihre politischen Wurzeln.

Dass dies kein Zufall war, zeigt Fliedner an weiteren Beispielen. Er beschreibt, wie Baden-Württemberg in den 1970er Jahren mit einer großangelegten Staufer-Ausstellung eine gemeinsame Identität schaffen wollte, die auf mittelalterliche Mythen und das Kaiserreich zurückgriff. Die Feier der Staufer war bequem, sie bot eine unkritische Rückbesinnung auf eine glorifizierte Vergangenheit. Doch sie ignorierte die demokratischen Kämpfe des 19. Jahrhunderts, die weit mehr zur politischen Kultur Baden-Württembergs beigetragen haben.

Die Notwendigkeit einer kritischen Erinnerungskultur

Offenburg hat sich jedoch auch anders gezeigt. Unter den Oberbürgermeistern Martin Grüber und Wolfgang Bruder ging die Stadt in den 1990er Jahren einen anderen Weg: Sie erinnerte mit großem Aufwand an die Revolution von 1847–1849. Beim Freiheitsfest von 1997 kamen 130.000 Besucher, die Stadt war voller Biedermeierkleidung und Themenhöfe, und es wurde ein Bewusstsein für die demokratischen Traditionen geschaffen.

Doch solche Ereignisse bleiben selten. Die Gefahr, dass eine unkritische Geschichtsverklärung dominiert, ist groß. Fliedner macht klar, dass es bequem ist, sich auf unpolitische Traditionen und kulturelle Events zu stützen. Doch eine Stadt, die sich ernsthaft als „Freiheitsstadt“ begreifen will, muss sich mit ihrer Geschichte auseinandersetzen – und zwar konsequent und kritisch.

Was bleibt zu tun?

Die heutige Offenburger Stadtspitze unter Oberbürgermeister Marco Steffens scheint diesen Weg wieder stärker einschlagen zu wollen. Offenburg soll offiziell als „Freiheitsstadt“ etabliert werden. Doch der Titel allein reicht nicht. Er muss mit Inhalten gefüllt werden.

Das bedeutet, dass in der Stadtpolitik, im Bildungswesen und in der öffentlichen Erinnerung ein klarer Bezug zur Freiheitsgeschichte hergestellt werden muss. Straßenbenennungen, Gedenktafeln, Schulprojekte und öffentliche Debatten sind notwendig, um das Bewusstsein für die eigene Geschichte wachzuhalten.

Die Stadt sollte sich bewusst sein, dass Freiheit kein historisches Andenken ist, sondern eine Verpflichtung für die Gegenwart. In einer Zeit, in der Demokratie und Freiheitsrechte weltweit unter Druck geraten, muss Offenburg sich seiner Verantwortung stellen und seine Geschichte als Auftrag verstehen.

Wie positioniert sich Offenburg angesichts des zunehmenden Rechtsdrucks?

In den letzten Jahren hat der Rechtsruck in Deutschland und Europa besorgniserregend zugenommen. Parteien und Gruppierungen, die demokratische Werte aushöhlen oder offen angreifen, erhalten immer mehr Zulauf. Die Frage ist: Wie wird Offenburg als Freiheitsstadt darauf reagieren?

  • Wie kann die Stadt ihre demokratische Tradition aktiv in der politischen Bildung verankern?
  • Welche Maßnahmen müssen ergriffen werden, um Rechtsextremismus und antidemokratische Strömungen in Offenburg entschieden entgegenzutreten?
  • Welche Rolle kann die Stadtgesellschaft – Vereine, Schulen, Initiativen – dabei spielen, eine lebendige demokratische Kultur zu fördern?
  • Wie kann Offenburg als „Freiheitsstadt“ über ein symbolisches Label hinaus zu einem Ort des gesellschaftlichen Engagements und der offenen Diskussion werden?

Diese Fragen sind keine rhetorischen, sondern dringende Herausforderungen, die eine mutige Antwort erfordern. Wenn Offenburg tatsächlich die „Freiheitsstadt“ sein will, dann darf es sich nicht nur in historischem Glanz sonnen – es muss sich aktiv für eine bürgernahe, widerstandsfähige Demokratie einsetzen.

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