Rojava: Ein demokratisches Experiment und seine Bedeutung für uns

Die Region Rojava in Nordsyrien steht für eine der radikalsten demokratischen Bewegungen der Gegenwart. Inmitten des syrischen Krieges entwickelte sich dort ein politisches System, das auf Basisdemokratie, Frauenbefreiung und einem multiethnischen Gesellschaftsmodell fußt. Nun, nach dem Sturz von Baschar al-Assad, steht dieses Experiment vor neuen Herausforderungen. Die Bedrohung durch die Türkei, islamistische Milizen und autoritäre Bestrebungen in Syrien könnten das Modell Rojava zerstören. Gleichzeitig sehen wir in Europa Forderungen nach der Rückführung syrischer Geflüchteter, die die Lage weiter zuspitzen könnten.

Rojava: Ein Modell basisdemokratischer Selbstverwaltung

Seit 2012 baut die kurdisch geprägte Selbstverwaltung in Nordsyrien eine Gesellschaft auf, die nicht auf Nationalismus, sondern auf lokaler Mitsprache und Gerechtigkeit basiert. Die demokratische Konföderation, inspiriert von Abdullah Öcalans Ideen, setzt auf Räte, Kooperativen und ein System, das patriarchale Strukturen aufbricht. Frauen haben hier eine zentrale Rolle: In allen politischen Gremien gibt es eine paritätische Besetzung, und mit den Frauenverteidigungseinheiten YPJ kämpfen sie auch militärisch für ihr Recht auf Selbstbestimmung.

Doch das demokratische Experiment ist bedroht. Nach Assads Sturz kämpfen verschiedene Fraktionen um die Kontrolle Syriens. Die von der Türkei unterstützte Syrische Nationalarmee (SNA) greift Rojava an, islamistische Gruppen versuchen, ihre Macht auszubauen. Besonders prekär: Die westlichen Staaten, die einst Rojava im Kampf gegen den IS unterstützten, scheinen sich zurückzuziehen, während die Türkei ihre Angriffe intensiviert.

Rojava und die Chancen für unsere Demokratie

Was hat Rojava mit uns zu tun? Eine Menge. Während wir in Deutschland über den Verlust von Mitbestimmung klagen, zeigt Rojava, dass basisdemokratische Strukturen funktionieren können. Statt zentralistischer Entscheidungsgewalt setzt Rojava auf lokale Demokratie, auf Räte und Versammlungen, in denen Bürger:innen ihre Umwelt direkt mitgestalten können.

Auch das feministische Konzept ist inspirierend: Während in Deutschland noch immer Frauenquoten diskutiert werden, ist in Rojava Geschlechterparität bereits Realität. Jede Institution wird von einer Doppelspitze aus Mann und Frau geleitet. Das könnte auch hier Impulse geben, wie eine gerechtere Gesellschaft aussehen kann.

Die Bedrohung durch Abschiebeforderungen

Parallel zur Bedrohung Rojavas häufen sich in Europa Stimmen, die nach dem Sturz Assads die umgehende Rückführung syrischer Geflüchteter fordern. Doch das ist eine brandgefährliche Forderung:

  • Syrien ist nach Assads Sturz nicht sicherer geworden. Die Konflikte zwischen der Türkei, islamistischen Gruppen und der kurdischen Selbstverwaltung eskalieren weiter.
  • Viele syrische Geflüchtete haben sich in Deutschland ein neues Leben aufgebaut. Eine Abschiebung würde sie in Unsicherheit und oft in Verfolgung zurückschicken.
  • Rückkehrende könnten Zwangsrekrutierung, Verhaftung oder gar Ermordung zum Opfer fallen – besonders, wenn sie in oppositionellen Regionen wie Rojava gelebt haben.

Fazit: Solidarische Demokratie statt geopolitischer Kurzsichtigkeit

Rojava steht für eine demokratische Vision, die auch uns herausfordert. Die westlichen Staaten dürfen sich nicht aus der Verantwortung ziehen, indem sie die Region ihrem Schicksal überlassen und gleichzeitig Geflüchtete in ein Krisengebiet zurückschicken. Stattdessen braucht es internationale Unterstützung für die demokratischen Strukturen Rojavas – als Zeichen dafür, dass echte Demokratie möglich ist. Das wäre nicht nur ein Gewinn für Syrien, sondern auch ein Ansporn für uns, unsere eigenen demokratischen Strukturen neu zu denken.

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Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Rote Zora

    Guter Artikel, wichtiges Thema.
    Keine Abschiebungen, egal wohin. Afghanistan ist dank USA und später dem NATO Einsatz gegen die von den USA bewaffneten Terroristen inzwischen ja eine komplette Katastrophe.
    Solidarität und gerne auch politischer Rückhalt für Rojava sind wichtig und richtig, die Bewegung dort ist einer der wenigen Bollwerke gegen den Faschismus im nahen Osten. Danke für die Erwähnung, das Projekt genießt international zu wenig Aufmerksamkeit und Unterstützung!

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