Stuttgart, 04.06.2025 – Haus der Wirtschaft. Über 200 Menschen aus Politik, Verwaltung, Wissenschaft und Zivilgesellschaft versammelten sich auf Einladung des Sozialministeriums Baden-Württemberg zum 3. Fachtag „Armut und Teilhabe“ – ein bedeutender Tag für alle, die sich für soziale Gerechtigkeit, Teilhabe und Sichtbarkeit marginalisierter Gruppen einsetzen.
Der Auftakt des Tages erfolgte mit einem Grußwort von Sozialminister Manne Luche, gefolgt von einer wegweisenden Rede von Doris Kölz (Landesarmutskonferenz) zum Thema „10 Jahre Armutsbekämpfung in Baden-Württemberg“. Kölz machte deutlich: Das breite sozialpolitische Bündnis des Landes ist einzigartig in Deutschland – getragen von Ministerien, Parlament, Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften und Basisinitiativen.
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ToggleZwischen Erkenntnisgewinn und gesellschaftlicher Realität
In acht Gesprächsarenen wurde die Vielfalt armutsbetroffener Lebenslagen sichtbar: Kinder, Alleinerziehende, Frauen, Menschen ohne Arbeit, Ältere in Altersarmut – aber auch Menschen, die rassistische Diskriminierung erfahren. Unsere Arena 3 rückte die Situation von Sinti, Roma und Jenischen in den Fokus – Gruppen, die im öffentlichen Diskurs oft übergangen werden.
Besonderen Eindruck hinterließen Beiträge von Jane Simon (Offenburg) und einer Sinti-Roma-Aktivistin aus dem Elsass, die authentisch von struktureller Ausgrenzung und Alltagsdiskriminierung berichteten. Ebenso eindrücklich: Klaus Vater (Bonn) und Renaldo Schwarzenberger (Zentralrat der Jenischen, Ichenhausen). Ihr Appell: Die Jenischen benötigen endlich die offizielle Anerkennung als nationale Minderheit – eine Forderung, die seit Jahren auf taube Ohren stößt.
Klar wurde: Es fehlt an historischer Aufarbeitung, an aktueller Forschung, an politischem Willen. Eine interdisziplinäre Erhebung der Lebenslagen dieser Gruppen – etwa aus Perspektive der Kulturwissenschaften, Soziologie, Politologie und Juristerei – ist überfällig. Die Forschungslage ist dünn. Die politische Verantwortung liegt auf dem Tisch.
Internationale Perspektiven – grenzüberschreitende Solidarität
Rund 60 Teilnehmende diskutierten im Laufe des Tages in Arena 3, darunter auch fünf Gäste aus dem französischen Elsass – vom Weltbürgerhaus Mulhouse und der Erwerbslosengruppe aus Straßburg. Sie machten deutlich: Die Herausforderungen sind grenzüberschreitend. Die Antworten auf Armut müssen es auch sein.
Ein starker inhaltlicher Impuls kam von Bernhard Emunds, Professor an der Jesuiten-Hochschule Sankt Georgen und Leiter des renommierten Nell-Breuning-Instituts: Der Angriff auf Arme ist systemisch – und er ist real. Nur durch Solidarität von unten, durch organisierte Gegenmacht, kann gesellschaftliche Spaltung verhindert werden.
Ein Tag mit Wirkung – und viel Potenzial nach oben
Der Andrang war so groß, dass weit über 100 Interessierte abgewiesen werden mussten – aus brandschutzrechtlichen Gründen, denn das Haus der Wirtschaft war voll. Ein starkes Signal für die Relevanz des Themas. Und ein Weckruf, künftig größere Räume für soziale Debatten zu schaffen – nicht nur räumlich, sondern auch politisch.
Ausblick: Der nächste Fachtag kommt
Der 4. Fachtag Armut und Teilhabe ist für Oktober 2026 angekündigt. Viel Zeit, in der sich in Deutschland und Baden-Württemberg hoffentlich einiges klärt: in der politischen Ausrichtung, in der sozialen Praxis, in der Anerkennung struktureller Probleme.
Ob Berlin oder Stuttgart – wir brauchen keine Politik über uns, sondern eine Politik mit uns.