Während ich mich eigentlich nur noch irgendwo verkriechen und nichts mehr sagen will, suche ich doch ringend nach Worten. Ideen. Hoffnung. Jetzt bloß nicht aufgeben. Nicht ausgerechnet jetzt.
Ich schreibe heute nicht als Autorin, als Journalistin oder Filmemacherin. Ich schreibe als Ronja. Als Mutter eines einjährigen Sohnes, der gerade in meinem Arm eingeschlafen ist und dessen Zukunft sich mit dem heutigen Tag wieder einmal ein Stück ungewisser anfühlt. Als Pflegemutter eines 25 Jahre alten Sohnes, der vor zehn Jahren nach Deutschland gekommen ist – und auch dessen Zukunft sich ungewisser anfühlt. Unser aller Zukunft. Ich schreibe heute als Ronja. Als Mensch.
Ich liebe Demokratie, glühend. Das heißt nicht, dass ich sie einfach finde. Demokratie strengt mich an, sie fordert mich, sie überfordert mich. Und doch: alles was ich schätze und liebe, gründet auf und in ihr.
Deshalb bitte ich euch: Erhebt eure Stimmen. Mischt euch ein. Unsere Demokratie braucht uns gerade. Dringend.
Wie? Wenn ihr euch noch nicht entschieden habt, wen ihr für den nächsten Bundestag wählen werdet, bitte ich euch, im Februar den Grünen oder der SPD eure Stimme zu geben und den Wahlkampf der jeweiligen Partei mit was auch immer ihr könnt in den nächsten Wochen zu unterstützen. Flyer verteilen, Haustürwahlkampf, bei Infoständen mitmachen, spenden – das alles könnt ihr tun ohne Mitglied der zu sein.
Ich selbst bin in keiner Partei Mitglied und auch nirgends Stammwählerin. Ich verstehe und kenne das Gefühl, sich mit keinem der Wahlprogramm ausreichend identifizieren zu können. Enttäuscht zu sein mit Blick auf die bestehenden Optionen.
Mir hilft dabei die folgende Perspektive: wir wählen nicht diejenigen, die wir möglichst perfekt finden. Wir wählen diejenigen, die wir am ehesten dazu antreiben wollen, eine bessere und gerechtere Politik zu machen. Diejenigen mit denen wir am ehesten um politische Ideale, Werte und Ideen ringen wollen.
Aber natürlich könnt ihr auch Mitglied werden. Das Gute daran: jeder Euro, den ihr als Beitrag bezahlt, wird vom Bund verdoppelt.
Hier könnt ihr Mitglied bei den Grünen werden: https://www.gruene.de/mitglied-werden
Hier könnt ihr Mitglied bei der SPD werden: https://www.spd.de/unterstuetzen/mitglied-werden
Wenn ihr euch entschieden habt, CDU/CSU zu wählen, bitte ich euch, alles in eurer Macht stehende zu tun, um den beiden Parteien deutlich zu machen, dass viele ihrer Wähler*innen nach wie vor an demokratischen Werten hängen. Schreibt Briefe an eure Abgeordneten und nach Berlin, mischt euch ein, protestiert gegen den momentanen Annäherungskurs an rechtsradikale Positionen. Und wenn ihr könnt, überlegt noch einmal ob ihr nach heute nicht doch – und sei es nur dieses einzige Mal – einer anderen demokratischen Partei eure Stimme leihen wollt.
Ich komme aus einer großen Familie, in der wir immer schon die unterschiedlichsten Positionen und Parteien im demokratischen Spektrum vertreten haben. Wir streiten viel. Das ist nicht immer leicht und nicht immer angenehm. Und doch: was für ein riesiges Privileg, es zu können. Was für ein Privileg, dass politische Meinungsverschiedenheiten nicht heißen, dass wir uns gegenseitig in Gefahr bringen. Dass sie nicht heißen, dass wir uns nicht trotzdem lieben können.
Die rechtsradiksle AfD möchte genau dieses Privileg zerstören. Ihre Politik richtet sich nicht “nur” gegen Migrant*innen – das allein wäre schlimm genug. Sie richtet sich gegen alles freiheitliche Leben. Sie richtet sich auch gegen uns.
Als ich im Herbst bei einem TV-Auftritt in drei Sätzen erwähnte, wie verzweifelt ich mich nach Trumps Wiederwahl gefühlt hatte, wurde ich tagelang von einem rechten Shitstorm überrollt. Einige der anonymen Absender wünschten mir und meiner Familie den Tod. In den Umfragen steht die AfD bei mehr als 20 Prozent. Der Rechtsruck in Deutschland – er ist längst da. Er ist spürbar und real.
Der heutige Tag ist eine Zäsur.
Wie es jetzt weitergeht? Das hängt auch von uns ab. Eine bessere, gerechtere Zukunft ist möglich. Fangen wir an.
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ToggleGeschrieben von Ronja Wurmb-Seidel
Ronja von Wurmb-Seibel, geboren 1986, ist eine deutsche Journalistin, Autorin und Filmemacherin. Nach ihrem Studium der Politikwissenschaften in München arbeitete sie als Redakteurin im Politik-Ressort der “Zeit”. 2013 zog sie als damals einzige deutsche Journalistin nach Kabul, Afghanistan, und berichtete von dort aus über das Leben der Menschen im Kriegsalltag. Ihre Erfahrungen hat sie in ihrem Buch “Ausgerechnet Kabul” festgehalten.
In ihrem 2022 erschienenen Buch “Wie wir die Welt sehen” untersucht sie, wie negative Nachrichten unser Denken beeinflussen und wie wir uns davon befreien können. Sie plädiert für einen konstruktiven Journalismus, der nicht nur Probleme aufzeigt, sondern auch Lösungsansätze bietet.
Gemeinsam mit ihrem Partner Niklas Schenck produzierte sie den Dokumentarfilm “True Warriors”, der die Geschichte afghanischer Künstler erzählt, die nach einem Anschlag auf ihr Theaterstück mit den Folgen von Gewalt und Trauma umgehen müssen. Zudem veröffentlichten sie 2020 den Film “Wir sind jetzt hier”, der die Geschichten von sieben jungen Männern nach ihrer Flucht nach Deutschland beleuchtet.
Ronja von Wurmb-Seibel setzt sich dafür ein, dass Medienkonsum nicht zu Ohnmacht führt, sondern Menschen ermutigt, aktiv zu werden und positive Veränderungen anzustoßen. Sie lebt derzeit im bayerischen Dünzelbach, wo sie gemeinsam mit ihrem Partner ein Gästehaus für Künstler:innen betreibt.
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