Freisprüche für politischen Aktivismus sollten keine Gnadenakte sein, sondern verfassungsrechtlicher Anspruch. Tim Wihl erklärt, wie Recht demokratiefördernden Dissens ermöglichen statt verhindern könnte.
»Völlig bescheuert« nannte Bundeskanzler Scholz die Aktionen der Klimaaktivisten »Letzte Generation«. Andere verurteilen den zivilen Ungehorsam der Umweltschützer gar als »Terror«, mittlerweile wird gegen den verhassten Protest sogar mit Präventivhaft vorgegangen.
Entgegen der landläufigen Meinung, die solche wilden Protestformen als antidemokratisch abkanzelt, macht der Rechtswissenschaftler Tim Wihl in seiner präzisen Analyse deutlich, dass gerade diese Aktionen entscheidend zur Stärkung und Legitimierung der Demokratie beitragen.
Wihl untersucht verschiedene Protestformen von Adbusting über Massendemonstrationen bis hin zu Besetzungen und Blockaden. Er vergleicht die Chancen politischer Freiheit in Deutschland, Frankreich, den USA oder Chile. Und er zeigt, dass das deutsche Protestrecht wesentlich an die Verfassung der Kaiserzeit anknüpft – und nicht etwa an das fortschrittliche Erbe der Revolution von 1918.
Entschieden plädiert Wihl dafür, einem alternativen Verfassungsdenken zum Durchbruch zu verhelfen. Denn ziviler Ungehorsam ist keine Straftat, sondern eine demokratische Errungenschaft.
Das Buch “Wilde Demokratie: Das Recht auf Protest” von Tim Wihl untersucht die Bedeutung und Legitimität von Protesten in modernen Demokratien. Wihl argumentiert, dass wilde Protestformen wie Adbusting, Massendemonstrationen, Besetzungen und Blockaden entscheidend zur Stärkung und Legitimierung der Demokratie beitragen können. Er stellt diese Protestformen nicht als antidemokratisch dar, sondern als notwendige Elemente einer lebendigen Demokratie, die nicht nur in Regeln und Verfahren, sondern auch in der aktiven Teilhabe und dem Widerstand der Bürger besteht.
Ein zentrales Konzept in Wihls Werk ist die Unterscheidung zwischen Demokratie als “Herrschaftsform” und als “Lebensform”. Er betont, dass Demokratie mehr ist als nur die Ausübung von Macht durch Institutionen; sie muss von den Bürgern gelebt und verteidigt werden. Dabei sieht Wihl zivilen Ungehorsam nicht als Straftat, sondern als demokratische Errungenschaft, die rechtlich geschützt werden sollte..
Wihl plädiert für ein neues Verfassungsdenken, das demokratischen Dissens nicht nur erlaubt, sondern fördert. Er kritisiert, dass das deutsche Protestrecht immer noch stark an die Verfassung der Kaiserzeit angelehnt ist und fordert eine Modernisierung, die dem Erbe der Revolution von 1918 gerecht wird.
Das Buch wird als wissenschaftlicher Beitrag zur politischen Theorie beschrieben, der neue Perspektiven auf die Rolle von Protesten in Demokratien eröffnet. Es ist ein “wilder Ritt durch die ziellose Ideenwelt” und fordert dazu auf, Demokratie als eine soziale Bewegung zu verstehen, die ständig neu verfasst und verteidigt werden muss.
Inhalt
ToggleTim Wihl
Tim Wihl hat Politik- und Rechtswissenschaft in Köln und Berlin studiert und zu Aufhebungsrechten promoviert. Er war Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Gastprofessor an der Humboldt-Universität mit Aufenthalten an der Sorbonne und in Princeton. Nach einer Vertretungsprofessur für Öffentliches Recht und Neuere Rechtsgeschichte an der Universität Erfurt ist Wihl seit Oktober 2023 Fellow am The New Institute in Hamburg.
Wilde Demokratie
Das Recht auf Protest
144 Seiten. Klappenbroschur
Buch 16,– € / E-Book 9,99 €
ISBN 978-3-8031-3740-1