Ein Mann mit grauem Haar und Bart steht im Freien, hält Papiere in der Hand und trägt ein beigefarbenes Hemd mit einem angeklippten Mikrofon. Hinter ihm sitzen verschwommene Menschen an Tischen, und über ihm hängen Blätter von einem Baum.

Die Verkehrswende ist kein grünes Dogma – sie ist gesunder Menschenverstand

Offenburg steht vor großen Entscheidungen. Die Stadt wächst, der Verkehr nimmt zu, die Hitze in den Sommermonaten auch. Immer mehr Menschen wünschen sich eine lebenswertere, sicherere und ruhigere Stadt – und fragen sich gleichzeitig, wie das gehen soll, ohne die Wirtschaft zu schwächen oder Menschen auszuschließen.

Mitten in dieser Debatte spricht OB-Kandidat Uli Albicker über seine Vision einer Verkehrswende, die niemanden abhängt. Der gebürtige Offenburger hat viele Jahre im Ausland gelebt und sieht die Herausforderungen seiner Heimatstadt mit frischem Blick: Er fordert Mut, Beteiligung und eine neue Ehrlichkeit im Umgang mit Veränderungen.

Im Gespräch mit Ralph Fröhlich von der Konferenz für Urban Transformation Design (KfUTD) erklärt Albicker, warum die Verkehrswende kein grünes Schlagwort ist, sondern ein notwendiger Schritt für die Zukunft – ökologisch, sozial und wirtschaftlich.

Ein Gespräch mit OB-Kandidat Uli Albicker über Mut, Mitwirkung und Mobilität in Offenburg

Interview: Ralph Fröhlich / Konferenz für Urban Transformation Design (KfUTD)

Ralph Fröhlich:
Herr Albicker, viele Menschen verbinden die Verkehrswende mit Einschränkungen, mit weniger Parkplätzen, höheren Kosten oder komplizierten Regeln. Warum sagen Sie trotzdem: Offenburg braucht sie – und zwar jetzt?

Uli Albicker:
Weil Stillstand keine Option ist. Die Zeiten ändern sich – wirtschaftlich, klimatisch, gesellschaftlich. Das war schon immer so. Und Veränderung ist nichts Bedrohliches, sondern eine Chance, Dinge besser zu machen.
Ich sehe die Verkehrswende als ein Projekt der Vernunft, nicht der Ideologie. Es geht nicht darum, jemandem das Auto wegzunehmen, sondern darum, Freiheit anders zu denken: Wer zu Fuß, mit dem Rad oder mit Bus und Bahn gut ans Ziel kommt, gewinnt Lebenszeit, Lebensqualität und Gesundheit. Und wer auf ein Auto angewiesen ist – Handwerker, Pflegedienste, Lieferverkehr – der profitiert davon, wenn die Straßen wieder fließen und die Stadt weniger verstopft ist. Es geht darum, das Bedürfnis nach individueller Mobilität mit dem Bedürfnis nach Klimaanpassung, Aufenthaltsqualität und Attraktivität in Einklang zu bringen.

Fröhlich:
Das klingt pragmatisch, nicht dogmatisch. Trotzdem werden Maßnahmen wie Tempo 30 oder Parkraumbewirtschaftung schnell emotional diskutiert. Wie nehmen Sie die Menschen mit?

Albicker:
Indem wir sie beteiligen. Eine Stadt ist ein komplexes System – das kann man nicht von oben herab steuern. Ich habe mich viel mit Organisationslehre beschäftigt, mit dem, was der britische Denker W. Edwards Deming gesagt hat: Komplexe Organisationen funktionieren nur von unten nach oben.
Das gilt auch für Städte. Wir brauchen Bürgerbeteiligung, echte Mitgestaltung. Wenn Menschen verstehen, warum Veränderungen nötig sind und wenn sie sehen, dass ihre Ideen ernst genommen werden, dann entsteht Identifikation.
Beteiligung schafft Motivation – und Motivation schafft Akzeptanz. So werden aus Gegnern Mitstreiter:innen.

Fröhlich:
Sie haben selbst erzählt, dass Ihr Engagement begann, als Sie von den Baumfällungen in Offenburg gelesen haben. Was war da der Punkt, an dem Sie gesagt haben: Ich will mithelfen?

Albicker:
Ehrlich gesagt: Ich war selbst überrascht, wie wenig ich über das Thema wusste. Dann habe ich gelesen, dass plötzlich mehrere hundert Bäume gefällt werden sollen – und das hat mich wachgerüttelt. Ich habe Ralf angeschrieben und gesagt: Wenn du Hilfe brauchst, sag Bescheid.
Was mich beeindruckt hat, war, dass da endlich jemand nicht nur redet oder klagt, sondern handelt. Und das ist etwas, das ich mir für die Stadt wünsche: weniger Ausreden, mehr Machen.
Heute bin ich überzeugt: Niemand würde sagen, dass es besser gewesen wäre, wenn diese Bäume gefallen wären. Sie stehen jetzt für etwas – für Engagement, für Wandel, für Verantwortung.

Fröhlich:
Kritiker sagen oft, Verkehrswende sei ein „grünes Projekt“. Sie sprechen stattdessen von wirtschaftlicher Notwendigkeit. Warum?

Albicker:
Weil Lebensqualität ein Standortfaktor ist. Es gibt Studien – zum Beispiel von Prognos aus Basel – die zeigen ganz klar: Eine attraktive Stadt mit sicheren Wegen, belebten Plätzen, sauberer Luft und einem angenehmen Stadtklima zieht Fachkräfte an.
Menschen mit Qualifikation suchen sich heute nicht mehr zuerst den Arbeitgeber, sondern die Stadt, in der sie leben wollen. Wenn Offenburg da mithalten will, müssen wir zeigen, dass wir eine moderne, lebenswerte Stadt sind – mit funktionierendem Verkehr, attraktiven öffentlichen Räumen und nachhaltiger Infrastruktur.
Das ist kein grünes Thema, das ist Wirtschaftsförderung im besten Sinne.

Fröhlich:
Wie könnte Offenburg konkret loslegen? Was wären Ihre ersten Schritte als Oberbürgermeister?

Albicker:
Erstens: Wir müssen eine klare Priorität setzen – sichere und komfortable Wege für alle. Das heißt: Schulstraßen, Radachsen, sichere Querungen, Schatten durch Bäume.
Zweitens: Wir brauchen echte Pilotprojekte, die Mut zeigen – also Bereiche, wo man neue Konzepte ausprobiert und die Menschen aktiv beteiligt.
Und drittens: Wir müssen aufhören, Verkehrspolitik als Kampfplatz zu sehen. Es geht nicht um Autofahrer gegen Radfahrer, sondern um Lebensqualität für alle. Eine Stadt, die funktioniert, ist eine Stadt, in der man sich begegnet, nicht blockiert.

Fröhlich:
Das klingt nach einer Vision, die über den Verkehr hinausgeht. Wo sehen Sie Offenburg langfristig?

Albicker:
Ich möchte, dass Offenburg Modellstadt wird – eine Stadt, über die man spricht, weil sie zeigt, dass Wandel funktioniert.
Wir können aus Offenburg ein Labor machen für die Stadt der Zukunft: sozial, gerecht, klimaresilient und wirtschaftlich stark.
Das geht nur gemeinsam – Verwaltung, Wirtschaft, Zivilgesellschaft, Vereine, Initiativen. Von unten nach oben eben.
Und wenn wir das schaffen, dann sind wir nicht nur eine Verkehrswende-Stadt, sondern eine Zukunftsstadt.

Fröhlich:
Wenn Sie den Bürger:innen eine Botschaft mitgeben könnten – welche wäre das?

Albicker:
Seid mutig. Veränderung beginnt nicht im Rathaus, sondern auf der Straße, in den Köpfen, bei jedem selbst.
Die Verkehrswende ist kein grünes Dogma – sie ist gesunder Menschenverstand.
Und wer heute den Mut hat, sie anzupacken, wird morgen in einer Stadt leben, die lebendiger, gerechter und schöner ist.

👉 Das Interview führte Ralph Fröhlich für die Konferenz für Urban Transformation Design (KfUTD)

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