Ein trauriger Winter für Offenburger Bäume

Während sich viele Städte in Deutschland zunehmend für den Erhalt und die Vermehrung ihres Baumbestands einsetzen, geht Offenburg einen anderen Weg. Die aktuelle Liste der geplanten Baumfällungen für den Winter 2024/2025 ist alarmierend: Insgesamt 726 Bäume sollen weichen. Das Tragische daran ist nicht nur die schiere Zahl, sondern vor allem die Gründe, die hinter diesen Fällungen stehen.

Ein fragwürdiger Fällgrund: Allgemeiner Vitalitätsmangel

Von den 726 Bäumen werden 406 mit dem pauschalen Grund „Allgemeiner Vitalitätsmangel“ gefällt. Das entspricht mehr als der Hälfte aller Fällungen. Diese Begründung lässt zahlreiche Fragen offen: Was genau bedeutet dieser Begriff? Warum wird er so häufig verwendet? Und vor allem: Könnte ein Baum mit reduziertem Vitalitätszustand nicht durch gezielte Maßnahmen wie Schnittpflege, Kronensicherung oder Wasserversorgung erhalten werden?

Im Vergleich dazu sind Krankheiten oder statische Probleme, die tatsächlich eine Gefahr für die Verkehrssicherheit darstellen könnten, bei den geplanten Fällungen nur selten der Grund. Das deutet darauf hin, dass viele Bäume gefällt werden, nicht weil sie unmittelbar gefährlich oder unrettbar verloren sind, sondern weil sie schlichtweg „nicht mehr so vital“ erscheinen. Dies zeugt von einem fragwürdigen Umgang mit einem der wertvollsten Güter unserer Stadt.

Was der Verlust von 726 Bäumen bedeutet

Bäume sind weit mehr als nur Grün im Stadtbild. Sie kühlen die Luft, binden Feinstaub, spenden Schatten und verbessern die Lebensqualität der Bewohner. Ein großer Baum leistet so viel wie dutzende Neupflanzungen: Er filtert jährlich hunderte Kilogramm CO₂ und spendet Sauerstoff für zahlreiche Menschen. Zudem bieten Bäume Lebensraum für unzählige Tierarten, die in einer zunehmend versiegelten Stadt keine Alternativen finden.

Wenn Offenburg in einem einzigen Winter 726 Bäume verliert, bedeutet das:

  • Höhere Temperaturen im Sommer: Bäume sind natürliche Klimaanlagen. Ohne sie wird die Stadt im Sommer heißer und unbewohnbarer.
  • Weniger Lebensqualität: Weniger Schatten, schlechtere Luftqualität und ein sterileres Stadtbild treffen vor allem jene, die keinen Zugang zu privaten Grünflächen haben.
  • Eingeschränkte Biodiversität: Der Verlust großer Bäume gefährdet das empfindliche Gleichgewicht zwischen Flora und Fauna.

Wie Bäume gerettet werden können

Statt Bäume vorschnell zu fällen, gibt es viele Möglichkeiten, sie zu erhalten – selbst wenn sie nicht mehr ganz vital sind:

  1. Kronensicherung: Durch gezielte Maßnahmen kann die Stabilität eines Baumes wiederhergestellt werden, sodass er keine Gefahr darstellt.
  2. Wasserversorgung: Viele Bäume leiden unter Trockenstress. Eine gezielte Bewässerung kann ihre Vitalität wieder verbessern.
  3. Standortverbesserung: Durch Belüftung des Bodens oder die Reduktion von Bodenverdichtung können Bäume gestärkt werden.
  4. Erhalt bis zur Nachfolge: Auch wenn ein Baum langfristig ersetzt werden muss, sollte er so lange wie möglich erhalten bleiben, bis ein nachgepflanzter Baum groß genug ist, seine Funktion zu übernehmen.

Ein Appell an Offenburg

Die Zahlen zeigen ein Missverhältnis, das dringend hinterfragt werden muss. 406 Bäume, die aus pauschalen Vitalitätsgründen gefällt werden, bedeuten einen immensen Verlust für unsere Stadt. Es ist höchste Zeit, den Fokus auf den Erhalt statt auf das Fällen zu legen.

Andere Städte machen es vor: Mit Baumschutzsatzungen, gezielter Pflege und innovativen Ansätzen können selbst alte und geschwächte Bäume erhalten bleiben. Offenburg muss sich dieser Verantwortung stellen, um den zukünftigen Generationen eine lebenswerte Stadt zu hinterlassen.

Ein Baum zu fällen ist leicht – ihn zu erhalten erfordert Hingabe und Weitsicht. Lassen Sie uns die Weichen für eine grünere, lebenswertere Zukunft stellen.

welche 726 Bäume werden noch diesen Winter gefällt?

Ob dein Lieblingsbaum dabei ist, das zeigt dir die aktuelle Liste, der Bäume, die in den nächsten Tagen gefällt werden.

Was bedeutet Allgemeiner Vitalitätsmangel?

Aus Sicht der Stadtverwaltung könnte das Merkmal „Allgemeiner Vitalitätsmangel“ mehrere Zustände oder Faktoren umfassen, die – zumindest aus ihrer Perspektive – eine Baumfällung rechtfertigen könnten. Im Detail könnten darunter folgende Aspekte fallen:

1. Sichtbarer Rückgang der Vitalität

  • Trockene Kronen: Ein deutlicher Verlust von Blattmasse, abgestorbene Äste oder eine insgesamt stark reduzierte Belaubung könnten als Hinweis auf eine geschwächte Vitalität angesehen werden.
  • Kümmerwuchs: Langsames Wachstum oder ungleichmäßige Kronenbildung könnten als Zeichen mangelnder Vitalität interpretiert werden.

2. Schäden durch äußere Einflüsse

  • Schadstoffbelastung: Bäume an stark befahrenen Straßen oder in Industriegebieten könnten unter chronischem Stress durch Abgase, Streusalz oder Bodenverdichtung leiden.
  • Bodenverdichtung: Wenn der Boden um den Baum herum verdichtet ist (z. B. durch Baumaßnahmen oder intensiven Fußgängerverkehr), könnten die Wurzeln nicht mehr ausreichend mit Wasser und Sauerstoff versorgt werden.

3. Folgen von Klimaeinflüssen

  • Trockenstress: Besonders in den letzten Jahren sind viele Bäume durch anhaltende Trockenheit geschwächt, was sie anfälliger für Krankheiten und Schädlinge macht.
  • Hitzeperioden: Extrem heiße Sommer können die Vitalität von Bäumen dauerhaft beeinträchtigen.

4. Mangelnde Standortsituation

  • Ungünstiger Standort: Bäume, die von Beginn an an einem ungeeigneten Standort gepflanzt wurden (z. B. zu wenig Platz für Wurzeln, Konkurrenz durch andere Pflanzen oder Bauten), können langfristig geschwächt sein.
  • Verdrängung: Umgestaltungen oder Nachverdichtungen im urbanen Raum könnten zu einer Situation führen, in der der Baum „unerwünscht“ wird.

5. Vorbeugende Maßnahmen aus Sicht der Verkehrssicherheit

  • Einsturzgefahr: Auch wenn der Baum noch nicht akut gefährlich erscheint, könnten Risse, Hohlräume oder andere Hinweise auf strukturelle Schwächen als potenzielle Gefahrenquelle bewertet werden.
  • Zukunftsorientierte Ersatzpflanzungen: Die Stadt könnte argumentieren, dass geschwächte Bäume besser frühzeitig durch neue, klimaresiliente Arten ersetzt werden sollten, bevor sie vollständig absterben.

Kritische Betrachtung:

  • Das Merkmal „Allgemeiner Vitalitätsmangel“ ist äußerst unspezifisch und eröffnet einen großen Interpretationsspielraum. Es lässt sich schwer objektiv überprüfen und bietet Potenzial für voreilige Entscheidungen.
  • Insbesondere dann, wenn keine klaren Nachweise oder objektive Kriterien vorliegen, wie der Vitalitätszustand ermittelt wurde (z. B. durch Baumgutachter), besteht die Gefahr, dass wirtschaftliche oder praktische Erwägungen die Entscheidung dominieren.
  • Aus ökologischer Sicht ist es fraglich, ob ein Baum mit reduziertem Vitalitätszustand tatsächlich sofort gefällt werden muss oder ob gezielte Pflegemaßnahmen (z. B. Rückschnitt, Wasserversorgung) ihn stabilisieren könnten.

Schlussfolgerung:

Das Merkmal „Allgemeiner Vitalitätsmangel“ sollte differenziert betrachtet werden. Nicht jeder Baum mit schwacher Vitalität stellt eine Gefahr dar oder ist irreversibel geschädigt. Eine präzisere Definition sowie Transparenz in den Entscheidungsprozessen wären notwendig, um unnötige Fällungen zu vermeiden.

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Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Sana H. Leonhardt

    Im Zuge der Erderwärmung sind Bäume ein kostbares Gut. Es ist ein katastrophaler Schritt diese Bäume in der
    Moltkeallee zu fällen. Deshalb bitte ich sie, wie viele andere, von diesem Vorhaben abzusehen. Danke Herzlich Sana H. Leonhardt, Dipl.-Soz.Päd.

    1. Ralph

      Für die Bäume in der Moltkestraße sieht es ganz gut aus. Der Verkehrsausschuss hat beschlossen , dass die bleiben können…

  2. Herbert Weiß

    Um die offensichtlich nicht allzu belebte Straße auf dem Foto mit ihrem Baumbestand und dem großzügigen Geh- und Radweg könnte man Offenburg glatt beneiden. Und da sollen die Bäume wegen “mangelnder Vitalität” abgeholzt werden? Null Verständnis!

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