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Ökosystemleistungen von Stadtbäumen

Warum das Fällen von Stadtbäumen vermieden werden sollte. Bemerkungen von Philipp Anweiler zum Straßenumbau in der Moltke- und Weingartenstraße Freiburg, 17.01.2024

Werte Damen und Herren, ich bin Philipp Anweiler, 36 Jahre alt und wohne in Freiburg. Dort arbeite ich seit 9 Jahren im Botanischen Garten, mittlerweile als Gärtnermeister. In Offenburg bin ich immer wieder zu Besuch und habe mit Freuden festgestellt, dass u.a in der Innenstadt und an den Hauptstraßen entlang viele große ältere und sehr alte Bäume stehen. So sind auch die Moltke- und Weingartenstraße mit Alleen von Ahornen und anderen jüngeren und älteren Bäumen begrünt.

Das Schöne in der Weingartenstraße ist, dass deren Bäume nicht einfach in abgegrenzten, kleinen Baumscheiben stehen, sondern von einem langen Rasensaum umzogen sind, welcher den Wurzeln viel Platz bietet und bei Regen eine große Oberfläche zur Wasseraufnahme zur Verfügung stellt.
Gleichzeitig sehen die Ahorne, trotz Klimawandel, städtischer Hitze und Trockenstress recht gesund aus. Unter den Bäumen befinden sich sowohl Straße, Parkplätze, Fahrrad-und Fußgängerwege, alles in deren kühlendem Schatten.

Allerdings bin ich darauf aufmerksam geworden, dass sich der Zustand der Straßen bald erheblich ändern solle. Die Stadt Offenburg plant eine Neuordnung der Verkehrswege: u.a. die Verbreiterung der Radwege, sowie einhergehend damit das Fällen nahezu aller Bäume in der Moltke- und
Weingartenstraße.

Ich möchte hier nicht weiter auf die berechtigten Proteste von Bürgerinnen, Petitionen und Einigungen im Gemeinderat eingehen, da dies nur inhaltlich unzureichend sein kann und an anderer Stelle genügend geschieht. Stattdessen stellen sich mir bei diesem Projekt einige andere Fragen: Da sich das Straßenbauprojekt ja aktuell noch in der Planung befindet und auch im Gemeinderat schon Thema war, ist noch Zeit, die laufende Planung zu Gunsten der Bäume zu beeinflussen.

Das Engagement von Herrn Fröhlich und anderer Bürgerinnen hat zu einem Bekenntnis aller Beteiligten zum Erhalt der Bäume geführt, Allerdings scheint dem Erhalt der Bäume nach wie vor nicht Priorität eingeräumt worden zu sein. Das weiterhin bis zu 103 Bäume gefällt werden sollen, ist kaum akzeptabel. Es gibt doch Techniken, Knowhow und vor allem den Willen der Bevölkerung und des Gemeinderats es zu ermöglichten, die Bäume zu erhalten und in die Planungen zu integrieren.

Daher ist mein Anliegen mit diesem Schreiben allen Beteiligten noch einmal bewusst zu machen, warum der Erhalt alter Stadtbäume, gerade heute in Zeiten immer belastenderer Hitze- und Trockenperioden, unabdingbar ist. Welche Funktion sie erfüllen und, das eigentlich die umgekehrte Frage gelten müsste: Aus welchem sachlichen Grund muss dieser und jener einzelne Baum fallen?

Zu Offenburg speziell: Hat die Stadt, ähnlich wie z.B: Freiburg ein Baumschutzverordnung? Wurden Baumsachverständige einbezogen, welche für jeden Baum einzeln prüfen, wie der Erhalt ermöglicht werden kann? Sind Konzepte zur Flächenentsiegelung berücksichtigt worden, welche ermöglichen würden, die Straße evtl. zu verbreitern bzw. den Radweg auszubauen, ohne aber weiter Fläche zu versiegeln. Stichwort Schwammstadt.
Kann den Altbäumen ein Wert beigemessen werden, welcher ihre Ökosystemleistungen berücksichtigt, sie als stadtprägend, lebensraumbildend wertschätzt? Stichwort: Klimaresilienz. Gibt es ein Umweltgutachten, welches die Frage klärt, welche Auswirkungen das Fällen von so vielen
Bäume im Stadtgebiet Offenburgs hat? Welches sind die fachlichen Gründe für die Fällung? Was spricht gegen den Erhalt? Diese Fragen müssen heutzutage einfach beantwortet werden, bevor die ersten Bagger rollen.

Siehe Freiburgs Platz der Alten Synagoge. Das damalige Umweltgutachten aus dem Tagungsband „Advances in Meteorology, Climatology and Atmospheric Physics“ besagte einen Temperaturanstieg im Schnitt bis zu 10°C. Sowie 2010 mikroklimatische Untersuchungen stattfanden. Der Platz wurde realisiert, doch seit einigen Jahren sitzt im Sommer kaum noch jemand auf dort. Versiegelung, Plattenmaterialien und zu wenig Bepflanzung haben den zentralen Platz zu einem Backofen werden lassen.

Für die Moltke- und Weingartenstraße sind sicherlich Ersatzpflanzungen nach erfolgtem Umbau vorgesehen. Im Normalfall wird für jeden gefällten Baum ein neuer Jungbaum nachgesetzt. Allerdings sind diese neuen Bäume (auch je nach Beschaffungsort) nicht an das regionale Klima bzw.
Offenburger Stadtklima angepasst. Baumschulware soll i.d.R. für Kommunen günstig sein und so kommen die meisten Bäume aus norddeutschen Groß-Baumschulen. Diese Bäume sind nicht im regionalen, milden, sommer-heißen Oberrhein-Klima gewachsen. Anwachsgarantie kann bei
aktuellen Klimaveränderungen kaum gegeben werden. Auch die Baumartenauswahl ist zu hinterfragen. Wird auf heimische, sogar regionale/autochthone Baumarten gesetzt, welche heute aber mit dem Klimawandel und den städtischen Hitzeinseln, Trockenstress etc. zu kämpfen haben? Oder setzt man auf ausländische Arten, welche klimatologisch besser mit den sich verändernden Bedingungen zurecht kommen, aber der heimischen Fauna mitunter wenig zu bieten haben. Wie ist hier der aktuelle Stand der Debatte?

Weiterhin sollte bedacht werden, dass Mischpflanzungen eher zu berücksichtigen sind, kommt es doch bei Schädlingsbefall, Klimastress etc. nur zu einzelnen Ausfällen, nicht aber zum Abgang ganzer Reinbestände (siehe Forst/Lausitz Absterben von über 100 Rotblühender Kastanien (2015).

Das wichtigste Argument aber hinterfragt den Begriff der Nachhaltigkeit: Für einen gefällten Baum, wird ein neuer gepflanzt. Ein Jungbaum kann keinen Altbaum (z.B. 100 Jahre alt) direkt in seiner Ökosystemleistung ersetzen. Die Blattmasse ist deutlich geringer, der Stammumfang kleiner und
daher auch die Fotosyntheseleistung lange nicht auf dem Niveau eines Altbaumes. Das bedeutet: Kühlungseffekte, Feuchtigkeitshaushalt, Schadstofffiltrierung etc. werden über Jahrzehnte nicht die Leistung des Altbestandes aufweisen und damit in der Gesamtbilanz negativ ausfallen. Die Umgebungstemperatur wird weiter steigen. Und lokale Hitzeperioden werden sich im schlimmsten Fall um Wochen bis Monate verlängern (FAZWissen Andreas Frey). Die Schadstoffbelastung nimmt zu.

MDRWissen zeigt: wollte man nachhaltig pflanzen, in der Klimabilanz des Straßenumbaus also auf netto null kommen, müssten, um die Leistung eines einzelnen hundertjährigen Altbaumes auszugleichen etwa 400 Jungbäume nachgesetzt werden! 100 Jahre warten, bis die Bäume evtl. auf dem jetzigen Stand der Altbäume kommen können sich Städte in Zeiten des voranschreitenden Klimawandels nicht leisten.

Aufgabe der Stadtplanung wäre es schon jetzt Maßnahmen zu entwickeln, die die Folgen der Erhitzung lokal und regional zurückdrehen. In diesem Fall bedeutet es, die Bäume der Moltkestraße und Weingartenstraße unbedingt zu erhalten!

Gleichzeitig müssen Städte, Kommunen und Planerinnen auch begreifen, dass Straßenbau und Grünflächenerhalt zusammen gedacht werden müssen. Es geht hier nicht darum, Altbäume gegen breitere Radwege oder Straßenneubau auszuspielen. Moderne, umweltbewusste Stadtplanung ist in der Lage beides zu realisieren. Recherchiert man nur eine kurze Zeit im Internet, auf Pinterest oder Architekturbüros usw. finden sich international und national zahlreiche Beispiele dazu, wie Plätze, Straßenzüge, verkehrsberuhigte Flächen, Einkaufsmeilen und ganze Innenstädte grün, flächenentsiegelt, naturschonend geplant und realisiert wurden. Der Erhalt großer Bäume ist aufwendig und kurzfristig kostspielig, aber der Gewinn für Stadt, Anwohnerinnen und Umwelt ist dies unbedingt wert!

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